Paderborn wird Strom- und Gashändler

Stadtwerke-Gründung mit "Notbremse"

 

Paderborn (WV). Die Stadt Paderborn will schon im nächsten Jahr Strom und Wasser verkaufen. Dazu hat gestern Abend der Stadtrat einstimmig die Neugründung von Stadtwerken beschlossen. Sie sollen mittelfristig auch Trinkwasser anbieten.

Allerdings haben die Politiker eine Notbremse eingebaut: Sollten Paderborner Stadtwerke einen Jahresverlust von mehr als 750   000 Euro einfahren, wird das Geschäft auf den Prüfstand ge- und womöglich eingestellt. Damit wird dem Sperrfeuer des CDU-Mittelstandes Rechnung getragen. CDU-Mittelstandschef Friedhelm Koch hatte zwei Tage vor der gestrigen Ratssitzung eine Stadtwerke-Gründung als riskant und »schweren politischen Fehler« bezeichnet. Mit der Verlust-Obergrenze von 750.000 Euro will der Rat das Risiko eines finanzpolitischen Abenteuers eindämmen.

Mit einem Verlust rechnen jedoch weder Bürgermeister Michael Dreier noch die Sprecher aller Fraktionen. Gleichwohl wird in den ersten Jahren ein Anfangsverlust von rund 400.000 Euro in Kauf genommen.

CDU-Vize-Fraktionssprecherin Verena Lütke-Verspohl nannte als finanzpolitische Sprecherin ihrer Fraktion zwölf Jahre nach dem Verkauf der Stadtwerke an die damalige Pesag die Stadtwerke-Neugründung einen »guten Tag für meine Heimatstadt Paderborn«. Auch der Verkauf der Stadtwerke sei damals der richtige Weg gewesen, um mit 100 Millionen Euro Verkaufserlös viel in Paderborn zu investieren. Die Verlustdeckelung minimiere das Risiko. Sie ist überzeugt, dass die Stadtwerke Gewinne einfahren. Von der Wertschöpfung und städtischen Angeboten, die über Strom- und Gasverkauf in Paderborn blieben und gestärkt würden, profitieren alle Paderborner – »auch der Mittelstand.«

»Die Bürger kriegen einen zusätzlichen lokalen Stromanbieter«, feierte Grünen-Ratsherr Dr. Klaus Schröder die Stadtwerke-Gründung als Weihnachtspräsent unterm Tannenbaum: »Wir sind zuversichtlich, dass es klappt.«

SPD-Ratsherr Manfred Krugman sprach mit Blick auf die Mittelstands-Schelte von »einem schweren politischen Fehler«, wenn in der jetzigen Situation mit einem 20-Millionen-Euro-Verlust im Haushaltsentwurf 2015 nicht alle Einnahmemöglichkeiten ausgeschöpft würden. Er regte an, mittelfristig nicht nur über Strom- und Gasverkauf, sondern auch über Energieerzeugung nachzudenken und Strom von regionalen Energieerzeugern zu beziehen. DIP-Sprecher Reinhard Borgmeier rief die Bürger dazu auf, zu den Stadtwerken Paderborn zu wechseln. Sobald die Stadtwerke gegründet seien, »ist es reif für einen Wechsel«.

Für FBI-Fraktionschef Hartmut Hüttemann war am Abend »politische Weihnacht«.

Schon 2001 hatte FBI mit 15.000 Stimmen in einem Bürgerentscheid vergeblich gegen den Stadtwerkeverkauf und 2010 in einem Bürgerbegehren mit 7.000 Stimmen ebenfalls vergeblich für eine Stadtwerke-Neugründung gekämpft.

Bedenken äußerte allein FDP-Chef Dominic Gundlach, der solche Geschäfte lieber Privaten überlassen möchte. Aber es sei fahrlässig, sich angesichts der Haushaltssituation Einnahmen entgehen zu lassen.

(Westfälisches Volksblatt 19.12.14)