Gewohntes Bild: An den zwölf Linden auf dem Marienplatz und der Mauer als Begrenzung zur Marienstraße soll nicht gerüttelt werden. Neue Pläne sollen bis Ende Oktober nach eingehender Bürgerbeteiligung vorliegen. FOTO: HANS-HERMANN IGGES

Marienplatz: Stadtverwaltung schwer unter Druck

Streit: Die Kritik der Kirchengemeinde an der Platzgestaltung wurde bereits
im Februar 2018 aktenkundig. Die Fraktionen erfuhren davon jedoch erst jetzt

von Hans-Herrmann Igges

Zwölf ausgewachsene Linden und ein Sturm der Entrüstung machten es möglich: Die Pläne für ein neues Stadthaus am Marienplatz liegen auf Eis, weil die Kirchengemeinde St. Liborius als Eigentümerin des benachbarten Marienplatzes ihr Veto gegen eine Platzgestaltung ohne die Linden und ohne die Mauer an der Marienstraße einlegte. Vor zwei Wochen kassierte der Rat (gegen die Stimmen der CDU) seinen eigenen Beschluss, der ursprünglich von einer breiten Mehrheit aus CDU, SPD und Linksfraktion getragen wurde.

Was lief warum schief zwischen Stadtverwaltung und Kirchengemeinde St. Liborius? Nicht nur die Grünen und die FDP wollten es genauerwissen und stellten Bürgermeister Michael Dreier zum letzten Hauptausschuss bohrende Fragen.

 

Keine abschließende Abstimmung über Auslobungstext

Dreier räumte ein, dass es tatsächlich keine abschließende Abstimmung mit der Kirchen-gemeinde über den Auslobungstext für den städtebaulichen Wettbewerb zum Stadthaus gegeben habe; darin wurde den Planern anheim gestellt, die Marienstraße in den Platz zu verlegen und auch einige Linden zu opfern. Und tatsächlich, die Kirchengemeinde habe in einem Schreiben vom 28. Februar 2018 offiziell bemängelt, dass ihre Planungsziele in den Auslobungstext nicht eingeflossen seien.

Dem widersprach Dreier jedoch mit dem Argument, das sei mündlich in der zweiten Sitzung des Preisgerichts nachgeholt worden und betonte, dass zu diesem Zeitpunkt von einem notwendigen Erhalt der Bäume oder einer Beibehaltung der Fahrbahn nicht die Rede gewesen sei. Auch in der Kritik der Gemeinde am Ergebnis des zweiten Preisgerichtes sei davon nicht gesprochen worden.

Die Interessen als Eigentümerin sehe er im übrgen schon dadurch gewahrt, dass es sich beim Wettbewerbsergebnis lediglich um den Start (und nicht das Ende) des Planungsverfahrens gehandelt habe. Dreier betonte, dass die Vertreter aller Fraktionen an der Sitzung des Preisgerichtes teilgenommen und auch von den Bedenken der Kirchengemeinde gewusst hätten. Aus heutiger Sicht hätte er die schriftliche Kritik der Kirchengemeinde vom Februar 2018 den Fraktionen aber zur Kenntnis geben sollen, gab Dreier zu. Er wolle aber nicht so weit gehen, dies als Fehler zu bezeichnen.

Dafür sorgten andere. Reinhard Borgmeier (Linksfraktion): „Zu dem Zeitpunkt hätte man das Gefahrenpotenzial erkennen müssen. Darauf hätte der Bürgermeister uns hinweisen müssen.“ Klaus Schröder (Grüne): „Es ist ein starkes Stück, dass die Kirchengemeinde als Eigentümerin bei der Ausschreibung des Wettbewerbs nicht einbezogen war. Das wäre Voraussetzung gewesen.“

Und Hartmut Hüttemann: „Sie, Herr Dreier, tragen die Verantwortung!“

Dass dem 2017 nicht so war, begründete im Hauptausschuss Claudia Warnecke, Technische Beigeordente der Stadt, mit einer besonderen Stressituation und einer daraus folgenden fehlenden Abstimmung zwischen beteiligten Fachämtern im Technischen Rathaus. Andererseits habe die Kirchengemeinde aber stets auch Kompromissbereitschaft signalisiert. „Das Schreiben zuletzt mit so dezidierten Forderungen hat mich dann durchaus sprachlos gemacht“, äußerte Warnecke ihre Verwunderung. Auch Finanzdezernent Bernhard Hartmann stimmte zu: „Von einem Erhalt der zwölf Linden und der Mauer ist bis ganz zuletzt so dezidiert nie gesprochen worden. Es hieß immer, wir kommen schon zu einer Lösung.“

Deutliche Warnungen an die Adresse des Bürgermeisters

„Die Frage ist nicht, warum der Kirchenvorstand so spät Nein gesagt hat, sondern warum wir ohne deutliches Ja schon so weit losgelaufen sind“, wertete Klaus Schröder den Ablauf der Ereignisse jedoch anders. Franz-Josef Henze (SPD) stimmte zu: „Da fehlte eine Unterschrift.“ Dass die Fraktionen stets informiert worden seien, sehe aber wohl nur der Bürgermeister so. Henze: „Stimmt, ich war auch dabei; aber auf meine Einwände wurde ich nur beruhigt.“
Stephan Hoppe (Für Paderborn) beklagte, dass seinem Wunsch auf Akteneinsicht zwar nachgekommen worden sei, man jedoch aus den Dateien keine korrekte zeitliche Abfolge ablesen könne. Es habe frühzeitig auch aus den Reihen der Verwaltung konkrete Warnungen in Richtung Bürgermeister gegeben, weil die Platzgestaltung mit der Eigentümerin nicht geklärt sei, so Hoppe gegenüber der NW.

Bürgermeister Michael Dreier kündigte für die nächsten Tage intensive Gespräche mit Vertretern der Kirchengemeinde über die Gestaltung des Marienplatzes an. Bis zum 31. Oktober soll dem Rat ein neuer Vorschlag zum Stadthaus-Neubau vorliegen. Zuvor soll es eine eingehende Bürgerbeteiligung geben.

 

Schon fast Geschichte: So sah der Wettbewerbssieger das neue Stadthaus im Übergang zum Marienplatz. FOTO: VISUALISIERUNG STADT PADERBORN

KOMMENTAR
Stadtverwaltung unter Druck
Von Wunschdenken und roten Linien
Hans-Hermann Igges

Wer Architekten beauftragt, den Marienplatz zu überplanen und dabei die Linden und die Straße aus-drücklich zur Disposition stellt, sollte dafür vorher grünes Licht vom Eigentümer haben. Das ist doch klar, oder?

Offenbar setzten aber mindestens die Hauptverantwortlichen um den Bürgermeister auf Wunschdenken, das sie durch die wiederholt vorgetragene Gesprächsbereitschaft der Gemeinde genährt sahen.


Die Kirchengemeinde wiederum äußerte zwar früh Bedenken, zog aber zu spät rote Linien, nämlich als der öffentliche Protest anschwoll.
Verantwortlich für das Desaster sind also vermutlich beide Seiten: Ein blauäugiger Bürgermeister, der Warnsignale nicht beachtete. Und eine Kirchengemeinde, die nicht ent-schieden genug Nein sagte.

 

Aber auch die sonst sich so wachsam wähnenden Ratsvertreter dürfen sich an die Brust

klopfen. Auch sie hätten das Gefahrenpotenzial früher wittern können. Wie auch wir Medienvertreter.

 

Nur wenn, wie versprochen, bis Ende Oktober mit Bürgerbeteiligung eine tragbare Lösung auf dem Tisch liegt, könnte das Planungsdesaster um den Marienplatz doch noch ein Gutes gehabt haben. Vielleicht wären damit dann auch die Kritiker zufrieden, denen die bisherigen Stadthauspläne ohnehin viel zu groß sind.

 

(Neue Westfälische 04.07.19)