Die traurige Wahrheit über die Pensionen
Verschuldung der Stadt Paderborn:
Fachleute schätzen, dass in den Bilanzen 225 Millionen Euro an Rückstellungen fehlen.
Warum der Kämmerer trotzdem die Rechnung ohne jeden zweiten Ruheständler macht
Von Hans-Hermann Igges
Ohne Geld geht nichts: Diese Binsenweisheit gilt natürlichauchfür dieKommunen. Bei einem Schuldenstand von über 260 Millionen Euro in den Büchern der Stadt Paderborn schrillten im letzten Jahr im Rat die Alarmglocken. Was ist da eigentlich los? Und: Wie kann es weitergehen? Er beschloss eine Arbeitsgruppe, die sich Durchblick verschaffen und mögliche Wege diskutieren soll. Das neunköpfige Gremium besteht aus zwei CDU-Ratsmitgliedern und je einem Vertreter der anderen Fraktionen. Den Vorsitz führt Hartmut Hüttemann (FBI / Freie Wähler) – bisher einer der schärfsten Kritiker der Haushaltpolitik der letzten Jahre, der stets ein besonders argwöhnisches Auge auf den stetig steigenden Schuldenstand warf. Doch um Schuldzuweisungen geht es in der Arbeitsgruppe nicht – ebenso wenig wie derzeit schon um konkrete Vorschläge. Vielmehr um die Bestandsaufnahme.
Berechnungsmethode verschleiert Realität
Zwei bedeutende Ausgabenposten, denen Paderborns Finanzdezernent Bernhard Hartmann jedoch so gut wie ohnmächtig gegenüber steht, sind nämlich Pensionen und Vorsorgeaufwendungen sowie die Kreisumlage – beides Themen mit reichlich Untiefen und entsprechend viel Klärungsbedarf. Den sollten jetzt Kreiskämmerer Ingo Tiemann zum Thema Umlage und Thorsten Prasuhn, als Wirtschaftsprüfer der Unternehmensberatung Intecon (Bad Oeynhausen) für die Stadt Paderborn tätig zum Thema der Pensionen liefern.
„Traurige Wahrheit“ (Prasuhn) in Sachen Pensions- und Rentenrückstellungen ist nämlich: Was in den Bilanzen steht, ist nur die halbe Wahrheit. Schuld daran ist die offizielle Berechnungsmethode, die von einem statischen Modell mit festem Sockelzins ausgeht. Der Realität entspricht dagegen laut Prasuhn viel eher ein dynamisches Modell. Das heißt: Für die 551 aktiven Beamten und die 188 Pensionäre stehen auf die nächsten 25 Jahre gerechnet 180 Millionen Euro in der Bilanz; tatsächlich fällig an Auszahlungen werden aber wohl 355 Millionen Euro. Zusätzlich fehlen in der Bilanz über 52 Millionen Euro an Altlasten für die Angestellten, weil deren Zusatzrente im Jahr 2002 von einem Umlageverfahren auf ein kapitalgedecktes Verfahren umgestellt wurde. Gegenfinanziert durch Fondsanteile sind davon aber bisher nur 6,9 Prozent (Ende 2017). Doch am Ende von der Stadt eingelöst werden müssen die Ansprüche ihrer Beschäftigten. Droht deswegen womöglich ein Finanzdesaster? Was so aussehen könnte, lässt sich dennoch, zumindest momentan, managen, ohne dass irgendjemand Angst um seine Pension haben müsste: Die Stadt Paderborn ist immer noch vergleichsweise flüssig, setzt auf sprudelnde Gewerbesteuerquellen und hat relativ viel Eigenkapital in der Bilanz: Zum Ende 2018 waren das Werte für 669 Millionen Euro. Finanzdezernent Hartmann: „Eigentlich hätte man die fehlenden Rückstellungen auch in die Bilanz einarbeiten können, dann ständen da eben 225 Millionen Euro weniger. Aber das war vom Gesetzgeber nicht gewollt, als es vor einigen Jahren um die Aufstellung der Eröffnungsbilanzen ging. Denn dann hätten etliche Städte eine negative Eröffnungsbilanz vorgelegt.“
Fehlende Rückstellungen für Pensionen sind für den Kreis Paderborn wiederum kein drängendes Thema: Mit über 160 Millionen Euro Rücklagen (in einem Fonds bei der
Versorgungskasse des Landes) liegt die Ausfinanzierung aktuell bei stolzen und laut Prasuhn
beispiellos guten 35 Prozent. Nach Jahren mit Vorrang auf Schuldenabbau – derzeit gibt es noch 2,8 Millionen Euro Verbindlichkeiten – will der Kreis Paderborn laut KämmererIngo Tiemann nun wieder
stärker investieren, auch weil es dafür Drittmittel gibt: In seine Schulen, das Kreishaus, die Rettungswache, Kitas, Straßen, Radwege, den Flughafen – insgesamt 22 Millionen Euro in diesem Jahr.
Was die Kommunen sofort spüren, ist die Erhöhung der Kreisumlage. Davon muss die Stadt Paderborn 53 Prozent berappen – in diesem Jahr satte 93,5 Millionen Euro. Und es wird noch mehr: Weil wiederum der Landschaftsverband Westfalen-Lippe dem Kreis Paderborn für 2020 nochmals 5 Millionen Euro mehr Umlage berechnet, muss auch davon die Stadt wieder mehr als die Hälfte bezahlen – ohne den geringsten eigenen Spielraum.
Was also kann die Stadt Paderborn tun, wenn offenbar hinter fast jeder Zahl ein Sachzwang lauert? Wirtschaftsprüfer Thorsten Prasuhn rät jedenfalls davon ab, zur Gegenfinanzierung der Pensionen schlicht Kredite aufzunehmen, auch wenn die derzeit wenig bis gar keine Zinsen kosten. Prasuhn: „Auf lange Sicht ist das Zinsrisiko groß, und auch die Anlage, die man mit dem Geld kaufen würde, um einen Gewinn zu erzielen, kann kräftig ins Minus rutschen.“ Theoretisch könne eine Gemeinde zur Stärkung der Einnahmen auch an der Steuer und Gebührenschraube drehen. Doch das sei politisch heikel.
Die dritte Variante bestehe im Ansparen auf Raten, nämlich jährlich eine oder zwei Millionen
Euro in den Rücklagenfonds zu packen. Das Fazit des Wirtschaftsprüfers fiel eindeutig
uneindeutig aus: „Den Königsweg der Ausfinanzierung der Pensionslasten gibt es jedenfalls nicht.“
(Neue Westfälische 31.08.2019)